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Zugewandtheit
Bert Hellinger verwandte manchmal das Wort „Zugewandheit“. Es kommt im Wörterbuch nicht vor – aber man versteht es ohne Weiteres. Es ist nicht Zuwendung. Dass man sich jemandem zuwendet, ist ein äußerer Vorgang. Zugewandheit hingegen beschreibt diese Hin­wendung auf jemanden (oder etwas) hin als innere Haltung: „Ich schaue dich an, und ich nehme dich wahr.“ Bert selbst war der Person, mit der er arbeitete, stets zugewandt. Umgekehrt war das nicht immer der Fall. Wenn Falleinbringer ihr Anliegen vortragen, schauen sie manchmal vor sich hin und reden, als seien sie allein im Raum. Dann sind sie nicht im Hier & Jetzt, sondern im Kino der Inneren Bilder. Manchmal fragte Bert dann ins Publikum: „Will er etwas von mir?“ und antwortete selbst: „Er will nichts von mir“, und zu dem Betreffenden: „Du kannst dich wieder auf deinen Platz setzen.“ Reden ohne Zugewandheit schwächt den Redner wie den Zuhörer. Umgekehrt hat die Zuge­wandtheit eine große Wirkung, auch ohne Worte. In Aufstellungen spielt das Sich einem andern Zuwenden eine große Rolle. Wenn ein Stell­vertreter sich von einem anderen abwendet, zum Beispiel wenn ein Lebender nicht auf einen Toten schauen will oder auf jemanden, mit dem er im Streit ist, behandelt er den Anderen so, als ob es ihn gar nicht gäbe. Das ist: Jemanden ausschließen. Auch wenn ein Aufstellungs-Leiter sonst gar nicht eingreift – hier muss er eingreifen. Stellvertreter, die wegschauen, müssen aufgefordert werden, hinzuschauen! Oder es gibt eben keine Lösung. Wir können (oder müssen) die Aufstellung dann abbrechen. Die Zugewandtheit ist dem „Anerkennen, was ist“ aufs Engste verbunden. Wem ich mich zuwende, dem sage ich damit: „Es gibt dich.“ Der schlichte Satz „Ich sehe dich“ ist einer der elementarsten Sätze der Kraft, vielleicht mit dem Zusatz: „Ich sehe dich und dein Schicksal.“ Aber im Grunde genommen sehen wir jemanden, wenn wir ihm wirklich zugewandt sind, immer mit allem, was zu ihm dazugehört – und wo er dazu gehört. Jede weitere Hinzufügung kann eine Schwächung und Entwertung bedeuten. Ich hörte einmal jemanden von „liebevoller Zuwendung“ sprechen. Darum geht es aber nicht! Zur Zugewandtheit wie zur Wahrnehmung gehört, dass der, der sich einem anderen zuwendet, innerlich ruhig und neutral bleibt, in einer gesammelten Haltung. Gefühlige Stimmungen spielen in der Aufstellungsarbeit keine Rolle, nicht im Sinn Bert Hellingers. Das hat ihm zu­weilen den Ruf eingebracht, „hart“ zu sein. Die schlichte Anerkennung „Du bist da. So wie du bist und so, wie es dir geht, sehe ich dich“ kann in einem Menschen grundlegend etwas verändern.
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