zu 4, Forschungen zur Aufstellungsarbeit

https://www.therapie.de/psyche/info/therapie/familienaufstellung/forschung-zu-aufstellungen

In diesem Abschnitt habe ich wirklich etwas Neues erfahren: Zum ersten Mal lese ich im Zusammenhang mit Aufstellungsarbeit, es gehe dabei um „Cha­aktereigenschaften einzelner Personen“. Aber reden wir von der gleichen Sache, wenn wir das Wort „Familienaufstellung“ gebrauchen? Anscheinend ist das nicht der Fall.
Was hat dieser Artikel noch mitzuteilen? Er teilt mit, es gäbe „verschiedene For­schungs­arbeiten zu den Wirkungen von Familienaufstellungen“, die meisten davon „qualitative Studien“, die „keine zuverlässi­gen Aus­sagen über allgemein wirksame Effekte“ zuließen. Wenn meine Schulbildung nicht trügt, bedeutet „Effekt“ nichts anderes als „Wirkung“. Was also sollen „wirk­same Effekte“ sein?

Unterm Strich bleibt die Einschätzung: „…keine zuver­lässigen Aussagen“. Christine Amrhein disqualifiziert die „meisten Untersuchungen“ pauschal, benennt aber keine einzige mit Titel und Autor. Dabei, selbst wenn „die meisten“ nicht der Erwähnung wert wären, so müsste es doch wenigstens einige geben, die ihren Anforderungen genügen. Auch darüber teilt sie nichts mit. Mir drängt sich der Verdacht auf, dass sie nicht eine einzige kennt.

Die einzige Studie, die sie benennt, ist Peter Schlöt­ters Vertraute Sprache und ihre Ent­deckung1. Hier wird sie ausführlicher, jedoch kennt sie diese Studie offensichtlich ebenfalls nicht und gibt nur wieder, was man so darüber hört. So behauptet sie beispielsweise, es sei die „erste systematische Unter­su­chung zu den Effekten von Systemaufstellungen“. Das ist völlig falsch! Erstens gab es durchaus vorher schon Unter­su­chung zu den Effekten von Aufstellungen, und zweitens grenzt Schlötter seine eigene Arbeit gerade davon ab:
Die Wirkung ist zwar das eigentliche Motiv jeglicher Personalentwicklungs- bzw. Therapie-Methode, aber diese Fragestellung liegt weit ab von der vorliegenden Studie. (…) Im Zentrum der Betrachtung stehen vielmehr die Phänomene, die während der Anwendung der Methode selbst auftreten und nicht nachfolgende Wirkungen bei den Personen, die mit dieser Methode beraten werden.“2

Falsch ist auch Amrheins Behauptung, Schlötter habe in seiner Studie „reale Beratungsfälle mit lebensgroßen Holzfiguren“ nachgestellt. Bei Schlötters „Stummen Vertretern®“3 handelt es sich mitnichten um Holzfiguren. Mit denen hätten sich seine eigenen Vorgaben („identisch reproduzierbar“ und „neutral“) schwer erfüllen lassen. In der Sache ist es natürlich neben­sächlich, aus was für einem Material die Figuren tatsächlich waren. Nur, wenn Amrhein diese Studie, für die sie sich so erwärmt, wirklich gelesen hätte, dann wäre ihr dieser Irr­tum nicht unterlaufen.

Hätte sie es gelesen, hätte sie dort auch vier wissenschaftliche Studien zur Aufstellungsarbeit zitiert gefunden.4 Anders als sie selbst spricht Schlötter keineswegs abwertend über diese Studien, nur hat er selbst ein ganz anderes Thema. Und natürlich hätte Amrhein auch anders­wo diese Informantionen finden können, wenn sie daran interessiert gewesen wäre.

Von über 30 Methoden oder therapeutischen Schulen, die in therapie.de auf­gelistet sind, wird ein angelicher Mangel an Forschung einzig bei der Aufstellungsarbeit festgestellt. Warum? Und warum werden Forschungs­ergebnisse, die seit Jahren (oder Jahr­zehnten) vorliegen, unterschlagen bzw. pauschal abqualifiziert – obwohl sie zum Teil höchsten wissenschaft­lichen Standards entsprechen?

Eines wird damit sehr deutlich: Wissenschaftliche Studien zur Aufstellungsarbeit werden nicht gelesen und diskutiert. Sie bleiben ohne Wirkung. Sie ändern nichts daran, dass Ein­richtungen wie therapie.de das Bild von der wissenschaftlich unterbelichteten  Aufstel­lungs­arbeit pflegen – abgesehen von der Systemischen Therapie, in der es angeblich ja einen „breiten wissen­schaftlichen Dis­kurs“ darüber gibt.

Der Topos „Wissenschaftlichkeit“ ist ideologisch extrem aufgeladen. Das hat nichts damit zu tun, ob „wissenschaftliche“ Untersuchungen über Aufstellungen tatsächlich notwendig oder nützlich wären. Wenn das Banner der Wissenschaft aufgepflanzt wird, geht es vor allem um Macht, um Deutungshoheit. Das hat die Stellungnahme der der DGSF sehr deut­lich gemacht:

Nicht Bert Hellinger als normensetzender Guru, sondern ein breiter wissenschaftlicher Dis­kurs von Fachleuten innerhalb der Systemischen Therapie und Beratung definiert die Metho­dik der Familien­aufstellung und entwickelt sie so weiter, dass keine Dis­kre­panzen zu den Grundannahmen des systemischen Ansatzes auftreten.

  1. Peter Schlötter, Vertraute Sprache und ihre Entdeckung. Systemauf­stellungen sind kein Zu­falls­produkt – der empirische Nachweis. Heidelberg, 2005. ↩︎
  2. Schlötter, Sn. 11 f ↩︎
  3. Siehe Abbildungen in Schlötter, S. 36 ↩︎
  4. Schlötter, S. 11 ↩︎

Nach oben scrollen